Achterbahn

Buchseite und Rezensionen zu 'Achterbahn' von Ian Kershaw
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Inhaltsangabe zu "Achterbahn"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:832
EAN:9783421047342

Rezensionen zu "Achterbahn"

  1. Ein Meisterwerk der Geschichtsschreibung

    Der britische Historiker Ian Kershaw kann es einfach. Nachdem ich bereits "Höllensturz", der Geschichte Europas in den Jahren von 1914 bis 1949 beschreibt, mit Genuss und Gewinn gelesen haben, folgt nun mit "Achterbahn" der zweite Teil seiner Darstellung, die die Jahre 1950 bis 2017 umfassst. Zwar fehlen auch hier, wie er im Vorwort beschreibt, aus Gründen der Lesbarkeit die Fußnoten, die man sich manchmal wünschet, aber das tut dem Werk nur wenig Abbruch. Der Titel versinnbildlicht das Auf und Ab der europäischen Geschichte seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wobei Kershaw ein ambivalentes Fazit zieht. Sicherlich sind bewaffnete Auseinandersetzungen in dem zuvor von zwei Weltkriegen zerrissenem Kontinent bis zum Balkankrieg nach dem Zerfall Jugoslawiens ausgeblieben, auch ist der Lebensstandard der Menschen deutlich gestiegen, zunächst nur im Westen, nach dem Zerfall des Ostblocks jedoch, nach schweren Geburtswehen, auch dort. Und auch die Demokratie, so scheint es, ist gefestigter als in der ersten Hälfte des Jahrhunderts. Doch beschreibt Kershaw auch die zahlreichen Bedrohungen, denen sie ausgesetzt ist, angefangen von der Abhängigkeit von wirtschaftlichen Entwicklungen, dem Klimawandel, dem fundametalistischem Terror, den internationalen Migrationsbewegungen und den vor allem durch die beiden letztgenannten beiden Aspekte aufkommenden Populismus von rechts. Insofern steht Europa auch heute vor gravierenden Herausforderungen, die nur gemeinsam gemeistert werden können, fogerichtig plädiert Kershaw, ein Brite, der den Brexit hart verurteilt und beschreibt, mit welchen Lügen- und Schauergeschichten die sogenannten Brexiteers diesen vorangetrieben haben, für eine Stärkung der EU und eine Führungsrolle deren wirtschaftlichen Motors, der Bundesrepublik Deutschland.

    Für einen Leser wie mich selbst, der vieles des Beschriebenen seit 1980 bewusst miterlebt hat, kommt noch dieser Reiz dazu. Man ist überrascht, wie schnelllebig die Zeit doch ist und wie schnell manches in Vergessenheit gerät, weil es durch neue Problemlagen und Ereignisse obsolet wird. Auch die kurze Hofnung des Jahres 1989, als nach dem Zerfall der Ostblocks, dem der Berliner Mauer und vor allem dem Wegfall der akuten atomaren Bedrohung der Weg in eine rosige Zukunft offen zu stehen schien, wird bei der Lektüre noch einmal gegenwärtig. Der Katzenjammer wurde (jedenfalls bei mir) allerdings weniger durch die ernüchternden Kriege im Irak und in Jugoslawien ausgelöst als vielmehr dadurch, dass sich nach dem Wegfall der Systemalternative der Kapitalismus zunehmend von seiner hässlichen Seite zeigte, der zuvor im Westen Entscheidungen leitende Keynesianismus wich zunehmend den Neokapitalismus/-liberalismus, eine Entwicklung, die leider auch noch heute festzustelllen ist.

    Alles in allem ein absolut lesenwertes Werk.